Die Manfred Degen Kolumne
Oma Vollgas #24/2025

Ein Klischee, das uns Syltern, viel mehr aber noch unseren Gästen anhaftete, war die Nähe, die Zugehörigkeit zum Jetset – ein mittlerweile altmodischer
Begriff, der Menschen beschreibt, die mit düsenbetriebenen Flugzeugen von einer Party zur anderen eilten. Da zwischenzeitlich auch schon Bürgergeld-Bezieher auf mittelmeerländische Inseln fliegen, um dort ihren erstaunlich großen Durst zu löschen, ist der gesellschaftliche Rang „Jetset“ inzwischen auf Flughöhe „Null“ runtergekommen.
Da lach‘ ich doch drüber. Denn ich verdanke meine Existenz, mein Leben der Fliegerei. Ich bin quasi ein Kind des Fliegerhorstes in Leck, des kleinen grenznahen Städtchens, das wir Sylter immer durchfahren, wenn es uns in die Welt hinaustreibt. Ja, und das kam so:
Während des großen Krieges wurde mein Vater, kreativer Flugzeugmotorenschrauber, nach Leck geschickt. Es war seine Aufgabe, unrund laufende Flugzeugmotoren wieder zu geschmeidiger Laufkultur zu bewegen. Arbeitskräfte waren knapp und aus diesem Grunde wurden, das wissen wir ja noch aus dem Leistungskurs „Geschichte von der Bronzezeit bis heute“, junge Frauen aus der Umgebung „dienstverpflichtet“.
Sie mussten den hochqualifizierten Mechanikern zur Seite stehen, zur Hand gehen, ihnen mal den 18er-Ring- oder zwölfer Maulschlüssel reichen, so wie eine OP-Schwester das Skalpell reicht oder dem handzittrigen Chirurgen Schweiß von der Stirn tupft.
Eines Tages forderte mein (zukünftiger) Vater seine Assistentin (Fräulein Schmidt) auf, im Pilotensitz einer übergroßen HE 111 Platz zu nehmen und mit der einen Hand das Höhenruder zu verstellen und mit der anderen Hand Vollgas zu geben, damit er die Zündmagneten der Motoren feinjustieren könne.
Das Fräulein Schmidt, ein Leck‘er Mädchen, war ausgebildete Fotolaborantin und mit den Funktionen eines zweimotorigen Bombenflugzeuges – ich sach‘ mal so – nicht ganz so vertraut.
Es schall, so wurde es von meinem Vater noch mehrere Generationen lang auf
Beerdigungsfeiern und Eisernen Hochzeiten immer wieder detailliert geschildert, Gejuche, wilder Protest und tränensprühende Verweigerung aus der Pilotenkanzel: „Neiiin, das mach‘ ich nicht!!! Nachher fliegt das blöde Ding hier los!!!“ Und dann kam der klassische Satz meines Vaters: „Fräulein Schmidt, stellen Sie sich nicht so tuttich an!!! Geben Sie endlich Vollgas!!“ Historisch betrachtet, ist es schon erstaunlich, dass wir trotz solch lustigen Personals den Krieg dann doch verloren haben.
Jedenfalls waren die Vibrationen des auf Vollgas laufenden Weltkriegsbombers so nachhaltig und erregend, dass die dienstlichen Beziehungen der beiden Protagonisten sich im Privaten fortsetzten, eine glückliche Ehe entstand, gesegnet mit einem Schwung Kinder. Ich habe mir echt schon überlegt, aus dieser Geschichte
einen Hollywood-Blockbuster-Drehbuch zu machen – mit dem Titel: „…die mit dem Nazi-Bomber tanzte“. In den Hauptrollen vielleicht George Clooney und Emma Watson. Womöglich würde vielleicht sogar eine kleine Sprechrolle für mich dabei rausspringen… mit meinem Schulenglisch wäre ich ja die Idealbesetzung für so eine üble Schergen-Rolle. So Klaus-Kinski-mäßig – mit Schminke oder KI wäre das doch sicher möglich.
Egal. Wenn ich heute – auf dem Weg von Sylt in die große Welt – das kleine Städtchen Leck passiere, dann immer mit Vollgas und auf Flughöhe Null!
Geschrieben von: Redaktion / veröffentlicht am: 13.09.2025