Die Manfred Degen-Kollumne
Handschellen-Shuttle #29/2025
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Archiv
(…eine wahre Geschichte – ehrlich jetzt…)
Manchmal kam es vor – damals – dass ein Sylter vom Niebüller Amtsgericht vorgeladen wurde – als Zeuge oder – ganz blöd, als Beschuldigter. Für eine Befragung oder Anhörung. Kam er dem nicht nach, wurde ihm, in
einem etwas schärferen Ton, ein zweiter Termin angeboten. Kam er dem dann auch nicht nach – keine Lust, übermüdet, sturzbetrunken oder den Brief wieder nicht geöffnet, wurde eine Vorführung angeordnet.
Das Polizeirevier schickte einen blaulichternen Abholservice vorbei und in unserer Jugendstil-Polizeiwache wurden dem armen Wicht dann Handschellen angelegt und er wackelte anschließend mit einem uniformierten Begleiter zum Bahnhof.
Dort stand ich mir als vereidigter
Ticket-Dealer die Füße platt und schaute das Duo Infernale erstaunt an. „Zwei Fahrkarten nach Niebüll – einmal hin und zurück und einmal nur hin“, knurrte der Sheriff.
War der mutmaßliche Gauner körperlich in Schuss, womöglich sogar sportlich, war er mit der stählernen Acht an den Polizisten gekettet,
damit er nicht ausbüxen konnte.
Obwohl, es wäre sicherlich ein vergnügliches Entertainment gewesen – so eine wilde Jagd über die Westerländer Gleise und Bahnsteige – vielleicht sogar noch über die Zugdächer hinweg – wer dächte da nicht an die schönen Jean-Paul-Belmondo-Streifen?
War der Vorzuführende jedoch
wegen schlechter Ernährung oder ungemäßen Alkoholgenusses nicht mehr auf der Höhe der Zeit, wurde er nur mit sich selbst gefesselt. Hatte der Wachtmeister dann auch noch
Mitleid mit ihm, legte er ihm ein Oberbekleidungsteil über die Handschellen. Denn er sollte ja zugeführt und nicht vorgeführt werden.
Jetzt ging‘s ans Bezahlen. Der Polizist fragte also den Penner: „…hassu mal ‘n Zwanziger?“
Wegen der Handschellen kam der Angequatschte jedoch nicht an seine Geldbörse heran. Also fummelte der Polizist an der hinteren Gesäßtasche seiner Reisebegleitung herum und lupfte das Portemonnaie hervor.
Dann wühlte er zwischen Pfandbons, Visitenkarten eines Husumer Vorstadtpuffs und einem Zettel mit den Öffnungszeiten des Westerländer
Sozialamtes einen kleingefalteten Zwanzig-Mark-Schein hervor und erneuerte den Auftrag: „Einmal hin und zurück für mich und einmal einfach für ihn da…“
Ich druckte, kassierte und schleuderte die Tickets mit dem Wechselgeld über den Drehteller zu den beiden Tippelbrüdern zurück. Der Chef von den Beiden versenkte das Geld mit den Tickets im Portemonnaie seines Kunden und schob es zurück in die Gesäßtasche. Das ist ja eigentlich schon ein recht intimer Akt und es hat auch wohl ein wenig gekitzelt, denn die „einfache Fahrt“ lachte kurz auf. Aber es war doch schon eher so ein Auflachen mit zusammengebissenen Zähnen. Aber immerhin.
Wie der Zufall es will, wurde das Zugabteil, in das die Beiden sich niedergelassen hatten, von einer heimreisenden Schulklasse aus Puan Klent geflutet. Als sie die Handschellen unter der verrutschten Jacke sahen, war erst einmal Totenstille. Dann meldete sich als erster der Klassenclown und fragte: „Sach mal – hast Du vielleicht mein Fahrrad geklaut? So‘n Kleines, mit Micky-Maus-Figuren drauf…?“ und ein anderer krakeelte: „Wie is‘n das, wenn man wen umbringt? Tut das weh…?“
Darauf der Polizist zu den Rotzlöffeln: „Haltet bloß die Klappe, sonst sperr’ ich euch auch ein!“
Und dann – schon fast vertraut – zu seinem Kunden: „Komm‘, die geh‘n mir auf‘n Sack…! Wir verziehen uns in die erste Klasse – wir haben doch noch dein Wechselgeld von eben… davon spendier‘ jetzt mal zwei Übergänge in die Erste..“
Daran muss ich heute immer noch denken, wenn ich in den Nachrichten die Berichte von einem Sondervermögen für die Bahn höre…
Geschrieben von: Manfred Degen / veröffentlicht am: 21.10.2025










