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Die Manfred Degen Kolumne

Die Kunst des Gedankenlesens #23/2025

Foto: Archiv

Fans von mir haben tatsächlich schon behauptet, ich sei in der Lage, über Wasser zu laufen, Kranke zu heilen und Wasser zu Wein zu wandeln. Danke für diese Wertschätzung, aber wäre es so, würde ich als Religions-Gründer schon längst in das Weltgefüge prägend eingegriffen haben. Obwohl – eine Kernkompetenz allerdings habe ich voll drauf: Ich kann Gedanken lesen! Und ich sage Euch, Brüder und Schwestern: Das alleine ist Belastung genug.

Neulich zum Beispiel, bei der Autoverladung in Niebüll stand ein Cabrio aus Düsseldorf vor mir. Das Pärchen diskutierte aufgeregt, ob sie das Verdeck während der Überfahrt nach Sylt offen lassen sollten oder lieber schließen. Das Wetter war wackelig, im Augenblick schien die Sonne, aber wer weiß, wie lange noch. Sie plädierte für geschlossen, weil: „Naja, wenn dann doch ein Schauer
kommt – während der Überfahrt kriegen wir das ja nicht zu!“ Er hingegen wagemutig, cool, gelassen: „Ach, lass‘ mal, meine Zuckerschnute, das wird schon irgendwie gutgehen – no risk, no fun!“

Sie muckte noch zwei, dreimal auf, aber er tätschelte sie nieder. Ich gab ihm (im Stillen) Recht und dachte: „…typisch Weiber – erst machen sie Zickenkrieg ohne Ende, nur dass ein Cabrio vors Haus kommt, und dann kneifen sie, wenn ein bisschen Wind pfeift…“ Wir wurden verladen, die Fahrt ging los, und dunkle Wolken zogen auf. Ich erlebte die folgende Stunde wie im Autokino – vor mir lief ein Stummfilm ab. Während wir durch die Köge klabasterten, wurde im Cabrio die Diskussion wieder neu aufgenommen, gestenreich, mit Augenrollen und grimassierender Mimik. Die Zuckerschnute versuchte noch, mit einem verbalen Stepptanz das Unheil abzuwenden. Doch da war es schon zu spät! Kurz hinter Klanxbüll öffnete der Himmel seine Pforten und ein Sommerguss stürzte herab. Der
Cabriolist sackte in sich zusammen. Er spürte, dass seine Beziehung gerade einer sehr schweren Prüfung ausgesetzt wurde.

Eigentlich schade: Da hat er fast alles richtig gemacht und muss nun trotzdem um sein Leben fürchten.

Sie verabschiedete sich im Schminkspiegel heulend von ihrer Frisur, das drollig-süße Wutgesicht verknautschte sich karnevalesk und Tränen sprühten. Ich sah förmlich, wie ihr knuffiges Stammhirn dem Großhirn ein paar üble Gedanken um die Ohren schlug. Und dann – oh Wunder – sah ich diese schlimmen Gedanken wie in einer Comic-Sprechblase aufblubbern:

„Oh, wie hasse ich ihn, diesen Vollidioten! Ich habe mir für ihn das Gesäß liften und die Lippen aufspritzen lassen. Ich renne jedes Wochenende über den Golfplatz, um diesen albernen weißen Ball zu dreschen. Beim Skilaufen in St. Moritz habe ich mir den Meniskus zer-fasert und beim Segeln im Mittelmeer die Seele aus dem Leib gekotzt.

Und als er letztes Jahr den Schwachsinnstick mit der Harley bekam, habe ich mir nacheinander eine Bindehautentzündung und eine Reizblase eingefangen – und eine Bierallergie obendrein…

Zweimal habe ich den Typ mit meinem Sparbuch vor der Insolvenz gerettet, weil er sich mit Beate-Uhse-Aktien verspekuliert hat. Und jetzt sitze ich hier in seinem blöden Auto und ersaufe! Oder der Airbag kriegt gleich ‘nen Kurzschluss und schleudert mich ins Wattenmeer! Oder mir wachsen Schwimmhäute zwischen den Zehen!

Ich hasse, hasse, hasse ihn…!!!“

(Gedanken lesen – eine arge Last. Lieber würde ich übers Wasser laufen können…)


Geschrieben von: Manfred Degen / veröffentlicht am: 05.09.2025
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