Mehr als 500 Menschen halten Mahnwache für den Alten Gasthof in List
Wut, Traurigkeit und Empörung

List. Baudenkmäler sind wertvolle Zeugen der Vergangenheit. Durch sie können wir auf ganz besondere Weise in die Geschichte eintauchen. Wer sich auf historische Bauten einlässt, entdeckt einen Teil seiner Identität. Sie prägen das charakteristische Erscheinungsbild der Städte und Dörfer, Gemeinden und Landschaften. Sie lassen uns spüren: Hier sind wir zuhause. Dafür werden die Bauten bewahrt und gepflegt. Und: Sie sind authentische Zeugnisse für die nachfolgenden Generationen.
Wie man auf Sylt zuweilen mit historischen Bauten umgeht, war am vorletzten Tag des alten Jahres zu sehen: Abrissbagger rückten an, um dem Alten Gasthof in List zu Leibe zu rücken. Eine Sylter Institution und ein Stück Geschichte wurden einfach plattgemacht. 200 Jahre – ausgelöscht.
Seitdem ist in der Gemeinde nichts mehr so wie es war. Der Abriss des alten Friesenhauses, das noch aus dem Jahr 1650 stammt, hat den Volkszorn zum Kochen gebracht und die Menschen auf die Straße. Am Sonntag demonstrierten rund 500 Menschen neben der Bauruine.
Es fallen Worte wie Respektlosigkeit, Wut und Empörung. Die Protestierenden sind einfach nur fassungslos und möchten ihrem Unmut Luft machen. Die Mahnwache haben die Bürgerinitiative „Merret reicht‘s“, die Sölring Foriining sowie der SSW, „Die Insulaner“, die Grünen Sylt sowie die CDU List organisiert. Der erste Redner, Manfred Koch, war Betreiber des Gasthofes und erinnerte an die bewegte Geschichte des Hauses. Die Atmosphäre sei einzigartig gewesen. „Das Haus hat Geschichten erzählt.“
Molly Kiesewein von den Grünen betonte, dass ein Eigentümer, der ein historisches Haus kauft, eine „moralische Verantwortung“ für das Erworbene hat. „Ein wunderschönes altes Haus so würdelos abzureißen, kann nicht richtig sein.“
Silke von Bremen, Mitbegründerin von „Merret reicht‘s“, kritisierte, dass Investoren, die solche „Taten“ wie den Abbruch durchführen, keine Konsequenzen zu befürchten hätten. „Es gibt kein zielstrebiges Handeln, uns vor derlei Schaden zu bewahren, nichts, um Investoren Grenzen aufzuzeigen“, kritisierte sie auch das Handeln der örtlichen Politik. Die Zeugen des kulturellen Gedächtnisses werden rücksichtlos zerstört. Silke von Bremen sprach von „Kulturvandalismus“, der rein ökonomisch motiviert sei. Die Bürger sollten sich einmischen und in den Gemeindevertretungen Gehör verschaffen. Maren Jessen, Vorsitzende der Sölring Foriining, sagte, dass Gemeindevertreter genau überlegen sollten, bevor sie Bebauungspläne aufstellen. „Planen Sie vernünftig.“ Hans-Georg Hosterup von der Interessengemeinschaft Baupflege nannte den Abriss eine „Dreistigkeit“ und attestierte den Verantwortlichen „kriminelle Energie.“ Er fragte, wieso der Abbruch trotz Erhaltungssatzung nicht verhindert werden konnte.
Bürgermeister Ronald Benck hat genau das versucht. Bereits am 27. Dezember wies er das Landesamt für Denkmalschutz darauf hin, dass am Alten Gasthof „Gefahr im Verzug“ sei. Abgestellte Container wiesen auf Aktivität hin – Benck befürchtete einen Abriss des alten Gebäudes. Durch eine kurzfristig erteilte einstweilige Verfügung sollten die Bagger noch gestoppt werden. „Doch das Landesamt gab mir zu verstehen, dass es in diesem Fall nichts machen könne.“ Eigentlich sollte noch Ende des Jahres ein Sachverständiger das Gebäude begutachten und darüber befinden, ob der Alte Gasthof unter Denkmalschutz gestellt werden sollte. Doch ein Termin kam aufgrund von Urlaubstagen der Mitarbeiter nicht zustande. „Das macht schon hilflos“, sagt der Bürgermeister. „Der Gasthof gehörte zu List“, sagte er. Dass es nun nicht mehr da ist, sei für ihn „noch völlig irreal.“ Benck hat den Eigentümer wegen des Verstoßes gegen die Erhaltungssatzuzng angezeigt – eine Ordnungswidrigkeit, für die eine Strafe in Höhe von 30.000 Euro verhängt werden könnte.
Kritik, die Gemeinde hätte früher reagieren können, lässt Benck nicht gelten. „Ich habe ja noch versucht, was möglich war. Doch den übereilten Abriss, für den weder eine Genehmigung noch ein Antrag vorlag, hätte die Gemeinde nicht verhindern können.“
Geschrieben von: Nicole Lütke / veröffentlicht am: 10.01.2023