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Viele Paare und Eltern trennen sich derzeit - was tun? Wer kann helfen?

Wenn die Welt zusammenbricht

Foto: Heiko Wiegand Anna Theuner, Diplom-Psychologin, und Familientherapeut Stephan Freund vor dem BBZ am Westerländer Kirchenweg.

Insel Sylt. Trennungen in Partnerschaften sind bitter. Für die, die getrennt werden. Und vor allem für die Kinder, denen nichts anderes bleibt, als ohnmächtig am Rand zu stehen und beim Zusammenbruch einer früher einmal gewesenen Familienwelt hilflos zuzusehen. Und wenn dann noch Weihnachten vor der Tür steht…
Wir in der Redaktion der Sylter Zeitung haben uns gefragt, ob es in solchen menschlichen Grenzsituationen auf der Insel ebenso schnelle wie nachhaltige Hilfe geben kann.
Es kann.

Von Anna Theuner und Stephan Freund. Beide sind Fachleute auf diesem hochsensiblen Gebiet der Familienberatung und kennen sich mit solchen Situationen ziemlich gut aus. Und gerade dann, wenn eine Trennung noch frisch ist, muss das bevorstehende Weihnachtsfest umso sorgfältiger geplant werden, damit gerade für die Kinder eine Chance auf eine wenigstens einigermaßen gute Zeit besteht. Aber eben auch für die Erwachsenen. In der Erziehungsberatung im Beratungs- und Behandlungszentrum Sylt (BBZ) trifft man auf Anna Theuner, Diplom-Psychologin, und Stephan Freund, Familientherapeut. Sie sind für alle Betroffenen da, schnell und unkompliziert. Jetzt, eine knappe Woche vor dem Fest der Familie, kam unser Redaktionsmitglied Heiko Wiegand mit den beiden Beratern ins Gespräch.

Frau Theuner, Herr Freund, hat denn die Nachfrage nach Hilfe bei Trennung in diesen unruhigen Corona-Zeiten zugenommen?
Es ist mehr geworden, ja. Wir haben vor kurzem eine Trennungs- und Scheidungsgruppe in Kooperation mit Familienzentrum, FiM und dem ASD gegründet. Da ist schon Nachfrage da. Aktuell sind neun Elternteile Mitglied in dieser Gruppe und elf Kinder. Die Gruppe war in kurzer Zeit voll…

…das heißt, es bestand Bedarf nach genau diesem Angebot…
…Corona hat die bestehenden Probleme verstärkt. Wenn es beispielsweise schon vor Corona ein Problem in einer Familie gegeben hat, dann ist dieses Problem durch die erschwerten Bedingungen nicht besser geworden.

Corona als Katalysator in bereits belasteten Familien?
Homeoffice und Homeschooling forderten die Familien sehr. Die Freizeitaktivitäten fielen weg, sowohl für die die Kinder als auch für ihre Eltern. Somit fehlte der Ausgleich. Auch die sozialen Kontakte wurden stark eingeschränkt. Das alles veränderte die Familienstruktur, wodurch die Stabilität – der gewohnte Rahmen verloren ging. Hinzu kamen nicht selten existentielle Sorgen, zum Beispiel durch Kurzarbeit, Arbeitsplatzverlust und die Ungewissheit, wie es weitergehen soll. All das verursachte großen Druck.

Das sind Ursachen für eine Trennung in Corona-Zeiten?
Unter Umständen ja. Eine Trennung ist meist ein längerer Prozess. Manchmal kommt es jedoch zu einem plötzlichen Ende der Beziehung, wenn einer der Partner die Anzeichen dafür nicht gesehen hat. Die Familie steht dann unter Schock. Wenn man es realisiert hat, können die Gefühle sehr heftig werden. Bis man diesen neuen Zustand akzeptiert hat, kann es lange dauern. Diesen Weg gehen fast alle Menschen, die sich getrennt haben. Aber auch, wenn die Beziehung endet, bleiben Eltern die Eltern für ihre gemeinsamen Kinder. Es ist eine schwierige Phase, in der die Eltern für die Kinder da sein müssen.

Was raten Sie in einer solch schwierigen Phase?
Trotz der Schwierigkeiten miteinander in Kontakt bleiben und sich gegebenenfalls Unterstützung holen. Nach Möglichkeit gemeinsam mit den Kindern über die neue Situation – über die Trennung – sprechen. Gemeinsam die Verantwortung für das Scheitern der Beziehung übernehmen, ohne gegenseitige Schuldzuweisungen, damit die Kinder erst gar nicht in Loyalitätskonflikte kommen. Den Kindern klar machen, dass sie keine Schuld tragen. Konflikte nicht vor den Kindern austragen. Wenn die Familie zerbricht, fühlt es sich für die Kinder meist so an, als würde die Welt zusammenbrechen. Sie brauchen in dieser Situation viel Halt und Zuversicht. Es ist wichtig, ihnen zu versichern, dass man sie weiterhin lieb hat – und dass man für sie weiterhin da sein wird, nur anders. Egal, was passiert.

Was raten Sie im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest?
Das Fest sollte auf jeden Fall rechtzeitig und sorgfältig geplant werden. Denn alle sind sich darüber bewusst, dass sie diesmal das erste Mal an Weihnachten höchstwahrscheinlich nicht mehr an einem Tisch sitzen werden. Da ist eine Menge Ungewissheit und daraus resultierende Unsicherheit im Spiel – für alle.

Wenn es also nicht mehr möglich ist, das Fest gemeinsam zu verbringen…
…dann ist es wichtig, ein Signal an die Kinder zu geben. Wenn zum Beispiel Väter oder Mütter sagen: ,Es ist in Ordnung, dass Du Weihnachten bei Mama oder Papa sein wirst! Ich freue mich für Dich!’ Und nächstes Jahr ist es dann eben andersrum.

Sie sagen, dass es wichtig ist, die Festtage zu planen, Was meinen Sie damit genau?
Es ist immer abhängig von den Gewohnheiten, von den Ritualen in den Familien. Vielleicht kann es eine Lösung sein, wenn man, wie gewohnt, an Heiligabend gemeinsam mit allen zur Kirche geht und das Kind danach mit einem Elternteil nach Hause geht. Es macht sicherlich auch Sinn zu verabreden, wann telefoniert werden kann – oder wann man skypt. So, dass es für alle in Ordnung ist. Für den Fall, dass man sich doch entscheidet, gemeinsam zu feiern, ist es hilfreich, es genau zu überlegen und konkrete Absprachen zu treffen, etwa bestimmte Themen an diesem Abend nicht zu berühren. Sinnvoll könnte es sein, den Besuch zeitlich zu begrenzen, zum Beispiel nur eine oder zwei Stunden zu bleiben, sich daran zu halten und zur verabredeten Zeit auch zu gehen.

Was ist in einer akuten Trennungsphase – und das noch kurz vor Weihnachten – denn prinzipiell zu beachten?
Eine Trennung ist eine der größten Krisen im Leben eines Menschen. Und eben genau in dieser Situation ist es wichtig, dass man sich dessen bewusst wird, dass die Liebesbeziehung zu dem Partner zwar beendet ist und man nicht mehr ein Paar ist. Aber wenn man Kinder hat, bleibt man für immer Eltern. Eltern bleibt man ein Leben lang. Es wird eine gemeinsame Aufgabe bleiben, die Kinder durch das Leben gut zu begleiten. Je besser die Eltern miteinander kooperieren, umso besser kann diese Aufgabe gelingen.

Und genau darum geht es Ihnen in der Beratung gerade frisch getrennter Familien? Um die Trennung zwischen Paar-Ebene und Eltern-Ebene?
Ja, wir versuchen, es den Eltern klarzumachen, dass es gerade in der ersten Phase nach der Trennung, trotz des Schmerzes und der Wut, die sie meist in dieser Zeit empfinden, sehr wichtig ist, ihre Kinder nicht aus dem Blick zu verlieren. Dass sie jetzt stark sein müssen, weil ihre Kinder sie ganz dringend brauchen. Oft sind da eine ganze Menge Emotionen im Spiel zwischen den Eltern. Und unsere Aufgabe ist es dann, die Eltern darauf hinzuweisen, dass die Emotionen vor den Kindern draußen bleiben müssen.

Was raten Sie dann ganz konkret?
Gut für sich zu sorgen. Es gibt da keine konkreten Rezepte. Wir versuchen dabei jedem individuell zu helfen, einen guten Plan für sich selbst zu entwickeln. Für den einen mag es hilfreich sein, sich für eine Weile zurückzuziehen, Gedanken zu sammeln, um Distanz zu der bestehenden Situation zu gewinnen. Jemand anderes braucht eher mehr Aktivität und Gesellschaft von Freunden oder Familie. Am Ende geht es darum, die Eltern zu einem Perspektivwechsel zu bewegen. Denn wenn sich die Eltern ständig gegenseitig bekriegen, dann kommt irgendwann das Kind in der Mitte zu Schaden, denn das Kind weiß intuitiv, die Hälfte in mir ist Mama, die andere Hälfte ist Papa. Wenn also ständig Vater und Mutter vor dem Kind angegriffen werden, dann wird jedes Mal auch das Kind getroffen. Mindestens zur Hälfte. Und bei einem Streit dann auch ganz.

Für die Beratung geht es also darum, das künftige Leben aus dem Blickwinkel des Kindes zu betrachten…
… Genau. Und die Grundlage, das Fundament des Aufbaus einer neuen Lebensbeziehung ist es, wieder Vertrauen zu gewinnen. Die Verlässlichkeit spielt da zum Beispiel eine große Rolle. Halten sich die Eltern an ihre Absprachen? Holt mich Mama oder Papa wirklich ab? Kann ich mich darauf verlassen? Bringt Papa mein Kind wirklich zum Sport oder zum Arzttermin? Kann ich mich darauf verlassen? Das sind die Dinge, die eingeübt werden müssen.

Zum Ende unseres Gesprächs: Was raten Sie Eltern nach frischer Trennung ganz konkret? Was ist jetzt, kurz vor Weihnachten, sehr konkret zu tun?
Eltern sollten gern die Geschenke absprechen. Wer schenkt wem was? Und sprechen Sie bitte darüber, was der jeweils andere Elternteil auf keinen Fall möchte, was geschenkt wird. Das könnte dann zum nächsten Streit führen. Unterstützen Sie Ihr Kind beim Besorgen oder Basteln eines Geschenks für den anderen Elternteil. Es ist eine wichtige wohlwollende Geste. Versuchen Sie es nicht, mit den Geschenken die Trennung wieder gut zu machen. Schenken Sie den Kindern lieber Ihre Zeit, Ihre Zuwendung und Ihre Aufmerksamkeit. Spielen Sie mit Ihren Kindern oder bauen gemeinsam etwas, machen Sie einen Spaziergang. Bewegung tut immer gut. Stellen Sie an das Fest nicht zu hohe Ansprüche. Versuchen Sie lediglich, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen.

Zuletzt: Seien Sie verständnisvoll und großzügig zu Ihrem früheren Partner. Die Kinder haben auf jeden Fall was davon. Und auch die Eltern bekommen das Gegebene irgendwann zurück!


Geschrieben von: Heiko Wiegand / veröffentlicht am: 16.12.2021
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