Die Manfred Degen Kolumne
Klassenunterschiede #11/2025

Wird es wirklich von Vorteil sein, wenn wir die klassenlose Gesellschaft erreichen? Oder ist es nicht besser, wenn wir – alleine schon aus sportlichen Gründen – morgens beim Aufstehen uns sagen: Heute will ich auf dem Treppchen aber eine Stufe höher steigen…?
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Neulich las ich, dass eine olympische Bronzemedaille von Sportlern oftmals höher eingeschätzt wird als eine Silberne. Denn wer Silber erringt, hat Gold verloren, während dem Dritten auf dem Podium die Namenlosigkeit des Viertplatzierten erspart geblieben ist. Plakettengeschmückt darf er bei der Siegeszeremonie voller Stolz auf seine Nationalflagge hochblicken.
Dass Besiegte vor Freude strahlen, kennen wir allenfalls noch von Film- und Fernsehpreisverleihungen. Das ist aber nicht echt. Da werden bei der Nominierung fünf Kandidaten per Einspielfilm vorgestellt, einer kriegt dann die Trophäe und die anderen Geschlagenen müssen sich unbändig mit ihm freuen, obwohl sie stinksauer sind und nicht mal einen blechernen Trostpreis hinterher geworfen kriegen. Da wäre ich doch lieber unnominiert zu Hause geblieben, hätte mir die Fußnägel geschnitten und dabei einen Querschnitt aus meinem Weinkeller verköstigt.
Völlig anders verhält es sich bei einer Reise mit der Regionalbahn von Sylt nach Nirgendwo. Erste-Klasse-Kunden werden dort von Zweitklässler komisch gemustert, als seien sie Waffenhändler, Drogendealer oder Zuhälter.
Deshalb meidet der erfahrene Erste-Klasse-Fahrgast den Blickkontakt mit dem niederen Volk hinter der Glastür und hofft, dass die Anderen denken, er führe zur Verleihung des Nobelpreises oder käme gerade von einem Besuch bei Jürgen Klopp zurück.
Wobei das Reisen in der 1. Klasse auch hochbelastend sein kann: Der ständige Kaviar-Geruch, das nervtötende Geklimper der Juwelen, die Telefonate der Anderen mit ihren Schlupflod-Chirurgen, wann denn die nächste Botox-Behandlung möglich sei. Gut, das Volk in der „First“ riecht natürlich angenehm und bei aufkommenden Gesprächen wird auch schon mal ein geistiger Mehrwert generiert.
Doch manchmal gibt es auch die dritte Klasse bei der Bahn. An einem frühen Sonntagabend in der Höchstsaison erfolgt am Westerländer Bahnhof schon mal die Durchsage, dass der Zug überüberfüllt sei und nicht losfahren würde, sofern nicht erst einmal 200 Fahrgäste wieder ausstiegen. Im Weigerungsfall würde die Räumung durch einen rustikalen Bundespolizeieinsatz exekutiert werden.
Diejenigen, die dann freiwillig aussteigen, um die Abfahrt des Zuges zu ermöglichen, obwohl er immer noch übervoll ist, sind die wahren Helden unserer Zeit. Sie müssten mit Lorbeerkränzen geschmückt und auf Schultern über den Hindenburgdamm getragen werden. Aber nix da.
Da sei uns doch Indien ein Vorbild. Ist der Zug voll, klettert der Inder aufs Dach. Dort klammert er sich ans Lüftungsrohr der Zugtoilette, geniest die Aussicht und ruckelt gemütlich seinem Ziel entgegen. Nun gut, die Durchschnitts- und Endgeschwindigkeit Indischer Fernbahnen ist nicht so hoch wie bei uns in Europa. Ich kann mich nicht erinnern, in der Tagesschau oder auf Youtube-Filmchen gesehen zu haben, wo es Indern auf Zugdächern durch den Fahrtwind der Turban aufgerebbelt hätte.
Frauen, die von Männern in dritter (!) Ehe geheiratet werden, sind dagegen oft Glückspilzinnen. Meist sind sie selbst knackig und begehrenswert, er dagegen hinfällig und stinkreich. Die Kinder sind aus dem Haus, ein kleiner Porsche steht vor der Tür und das Klo putzt eine Leichtlohnkraft. Sobald er ganz hinüber ist, erbt sie alles.
Fazit: Mag der Sieger auch geehrt und sein Name in Stein gemeißelt werden, es lässt sich oft auch auf den folgenden Plätzen vortrefflich leben.
Geschrieben von: Manfred Degen / veröffentlicht am: 22.05.2025