Die Manfred Degen Kolumne
Erste-Hilfe-Kurs für Sylter #31/2025
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Meine Partnerin fährt nicht gerne als Sozia mit mir im Auto mit. Sie meint, ich sei ein potenzieller Organspender, der die Straßenverkehrsordnung nur als Verwaltungsfolklore begreift. Eine Stunde mit mir als Chauffeur würde sie jedes Mal zum Angstbeten treiben, der mickrigsten Form von Glauben. Nun verlangte sie von mir die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Auffrischungskursus. Was ich vor vierzig Jahren wusste, entspräche nicht mehr dem Stand der Medizin.
Also meldete ich mich an: Fünfundzwanzig Doppelstunden sollten es werden. Danach könnten wir an der Uwe-Barschel-Universität in Kiel gleich ins vierte Semester Medizin quereinsteigen.
Nach viel Theorie standen dann Magen- und Darmspiegelungen auf dem Lehrplan. Für uns 15 Kursteilnehmer stand ein Gerät zur Verfügung – olivgrün – günstig erworben aus Restbeständen der Volksarmee. „Roter Oktober“ stand obendrauf – in kyrillisch. Es ging flott reihum, gegenseitig spiegelten wir Mägen und Därme.
In der nächsten Übungseinheit trainierten wir die Reanimation Scheintoter durch Mund-zu-Mund-Beatmung. Dafür existiert auf Sylt eine Übungspuppe. An der darf beziehungsweise muss jeder Druckluft-Lehrling herumschnullern, bis ein grünes Licht anspringt.
Die Puppe wurde „Hannes“ gerufen, was durchaus Sinn machte, da achtzig Prozent der Kursteilnehmer weiblich waren. Verschärft wurde die Vermenschlichung zwischen Puppe und Teilnehmerinnen dadurch, dass Hannes prächtige Perlmutt-Augen hatte, die durch nachlässige Endmontage (China…?) asymmetrisch vernietet wurden, wodurch sie dem Dödel einen betörenden Silberblick verliehen. Und wenn man sich dann noch in Erinnerung rief, dass menschliche Nähe praktisch nur noch in der Schlange vor der Aldi-Kasse stattfand, wurde die fiebrige Vorfreude auf die Übungsabende mit der Gummipuppe begreiflich.
Allerdings – man muss es erwähnen – die Puppe ist ständig auf Sylt unterwegs, prostituiert sich mit ihren gummibenoppten Öffnungen auf verschiedenen Lehrgängen und Seminaren. Am Tag vor unserem Termin musste Hannes sich in Morsum den Lernwilligen hingeben.
Da die Menschen dort des Öfteren mal von Mähdreschern gestreift oder auch von zusammenstürzenden Torfstapeln verschüttet werden – oder beim Geldabheben ihnen der rechte Arm bis zum Musikantenknochen in den Geldautomaten reingeschluckt wird, sind die Erste-Hilfe-Kurse in Morsum so wichtig!
Sönke Sönksen wurde auserwählt, Hannes zu beatmen, um die Kursteilnehmer schon mal zu sensibilisieren. Sönke ist ein sanftmütiger Kerl, groß, kräftig. Wäre er Japaner, würde er sich als Sumo-Kämpfer verdingen, wäre er jedoch Amerikaner, würde er bestimmt einen Privatknast leiten.
Nun gut – es ist, wie es ist. Erwähnen muss man noch, dass unser neuer Freund Sönke vor einiger Zeit bei „Wetten, dass…“ mit Thomas Gottschalk Wärmflaschen aufblies, bis sie platzten. Er wurde Wettkönig.
Sie ahnen schon, was dann geschah: Dem späteren Bericht des TÜV-Sachverständigen für Heißluftballons und Gummipuppen war zu entnehmen, dass man versäumt hatte, Sönke darauf hinzuweisen, dass Hannes nur bis drei Atmosphären druckgeprüft sei.
Sönke also kniete sich vor die Puppe und über das Gesicht, stellte eine druckdichte Verbindung her und blies. Das Geräusch, das dabei entstand, war unterirdisch und übermenschlich zugleich, so als würde jemand dickwangig ein Dohlennest aus der Entlüftung seiner Gästetoilette blasen.
Die Perlmuttaugen schossen mit nahezu Schallgeschwindigkeit aus dem Korpus, durchschlugen die Decke und verglühten als Kometen im All.
Sönke entschuldigte sich und erklärte, dass er gar nicht geblasen, sondern nur ausgeatmet hätte. Egal. Sechskommaneun Atü! Das musst du dir mal vorstellen!!
Hannes musste anschließend – als Notfall – in die Reifenfabrik, wo ihm neue Perlmuttaugen einvulkanisiert wurden. Dann wurde seine Belastbarkeit auf dem Prüfstand auf neun Atü getestet und er wurde nach Morsum zurückgeschickt.
Jetzt sollen diese Erste-Hilfe-Kurse für Senioren wohl jährlich wiederholt werden. Verpflichtend! Na, das wird ja ein Spaß…
Geschrieben von: Manfred Degen / veröffentlicht am: 21.11.2025











